24. Juni 2016

Erklärung zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland

Susann Rüthrich, MdB legt die Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland vor. „Ein gutes Stück des Weges ist geschafft. Die Kinderkommission hat viel erreicht, den IST-Stand aufgenommen und eine Diskussion darüber angestoßen, was in Deutschland noch zu tun ist. Wir fordern, dass Kinder und Jugendliche bei allen Entscheidungen, die  sie betreffen, altersgerecht einbezogen werden. Dazu gehören Kinderrechte  in unser Grundgesetz“. Den vollständigen Wortlaut der Stellungnahme lesen Sie hier:

Stellungnahme der Kinderkommission des Deutschen Bundestages zur Umsetzung der Kinderrechte in Deutschland
(Berlin 22. Juni 2016, Kommissionsdrucksache 18. Wahlperiode, 18/13)

Am 20. November 1989 verabschiedete die Generalversammlung der Vereinten Nationen das „Übereinkommen über die Rechte der Kinder“ – die UN-Kinderrechtskonvention (UN-KRK). Kinder erhielten mit der Konvention das Recht auf ein Aufwachsen ohne Gewalt und ein Recht auf Schutz vor Missbrauch, zum Beispiel als Kindersoldaten oder Prostituierte.
Die 54 Artikel der UN-KRK mit ihren drei Zusatzprotokollen vermitteln ein neues Verständnis von Kindern – weg von „kleinen Erwachsenen“, hin zu eigenständigen Persönlichkeiten mit einem eigenen Willen von Geburt an.
Kinder haben eigene Rechte. Sie sind Rechtssubjekte und keine Objekte. Wann immer Kinder betroffen sind, ist ihr Wohl ein Gesichtspunkt, der vorrangig zu berücksichtigen ist. Bei der Realisierung ihrer Rechte sind Kinder auf Unterstützung durch andere angewiesen. Das sind im Alltag nicht nur die Erwachsenen, mit denen die Kinder aufwachsen; das sind auch staatliche und zivilgesellschaftliche Institutionen, in denen die Rahmenbedingungen für die Umsetzung der Kinderrechte gestaltet, evaluiert und weiterentwickelt werden. Zu nennen ist hier die Monitoringstelle Kinderrechte beim Deutschen Institut für Menschenrechte, die die Umsetzung der Kinderrechtskonvention beobachtet und dokumentiert, wie auch die National Coalition Deutschland – das Netzwerk zur Umsetzung der UN-KRK –, in dem Vertreterinnen und Vertreter der Zivilgesellschaft den Umsetzungsstand regelmäßig überprüfen.
Mit der Ratifizierung der UN-KRK haben sich die Vertragsstaaten verpflichtet, regelmäßig einen Bericht über das Voranschreiten der Umsetzung der Konvention in ihrem Land vorzulegen. Diese Berichte werden durch Informationen der zivilgesellschaftlichen Organisationen wie der National Coalition ergänzt. Sie sind Grundlage für die Anhörungen der Regierungsdelegationen sowie von Vertretern der Zivilgesellschaft vor dem UN-Ausschuss. In den Abschließenden Bemerkungen, den sog. concluding observations, bewertet der UN-Ausschuss die Umsetzung der UN-KRK.
Inzwischen liegen zu den vier Berichten der Bundesrepublik Deutschland Bewertungen des UN-Ausschusses für die Rechte des Kindes mit vielen Empfehlungen an die Bundesregierung vor.
Die Bedingungen für gutes Aufwachsen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland haben sich in den letzten 25 Jahren verbessert. Allerdings kann von einer vollständigen Umsetzung der UN-KRK in Deutschland noch keine Rede sein. Nach wie vor braucht es weitere Anstrengungen, um Kinder wirkungsvoll zu schützen, Kindergesundheit zu stärken, Bildungschancen zu verbessern, Kinderarmut zu bekämpfen und für mehr ehrliche Beteiligung von Kindern zu sorgen.
Die Wünsche und Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen sind maßgeblich bei allen sie betreffenden Entscheidungen. Es ist wichtig, Kindern und Eltern ihre Rechte und Instrumente für deren Realisierung aufzuzeigen, damit sie diese kennen und einfordern können. Um Kinder und Jugendliche und deren Familien auf ihre Rechte und die ihnen zur Verfügung stehenden Instrumente aufmerksam zu machen, muss in Deutschland ein flächendeckendes, leicht zugängliches und unabhängiges Beratungs- und Unterstützungssystem entstehen. Ein bundesweites System kann auch dabei helfen, die regionalen Unterschiede in Deutschland einzuebnen.
Die Kinderkommission hat sich in ihren öffentlichen Expertengesprächen mit dem Stand der Umsetzung der UN-Kinderrechts-konvention in Deutschland befasst. Dafür wurden exemplarisch einige Kinderrechte beleuchtet, an denen die Grundintentionen der UN-KRK von Schutz und gesundem Aufwachsen, Förderung und Entwicklung sowie Beteiligung deutlich werden. Diese Stellungnahme ergänzt die concluding observations des UN-Aus-schusses für die Rechte des Kindes.
Die schlaglichtartige Auswahl zeigt: Es gibt in allen Bereichen Handlungsbedarf, um das jeweilige Recht tatsächlich wirksam werden zu lassen. Damit bestätigen sich für uns die Befunde der National Coalition, die systematisch die Umsetzung der UN-KRK in Deutschland begutachtet und ebenfalls großen Handlungsbedarf sieht – im Detail wie in der Gesamtheit. Auch wir fordern daher eine umfassende und verbindliche Stärkung aller Kinderrechte in Deutschland.
Mit dieser Stellungnahme werden Anregungen und Forderungen an alle politischen Ebenen wie auch die zivilgesellschaftlichen Akteure formuliert, die zu einer konkreten Verbesserung des Alltages von Kindern und Jugendlichen beitragen.

I. Diskriminierungsverbot
§
2 UN-Kinderrechtskonvention – Achtung der Kindesrechte; Diskriminierungsverbot

Die Kinderkommission fordert alle Behörden und Institutionen, die sich mit den Belangen von Kindern und Jugendlichen direkt und indirekt befassen, auf, Diskriminierung in allen Bereichen und Formen frühzeitig zu erkennen und entgegenzuwirken.
Jedes Kind und jeder Jugendliche soll die besten Chancen beim Zugang zu Kita, Schule, Berufsausbildung und Hochschule haben. Dafür müssen die Ressourcen erweitert und die Konzepte, die Zugänge und Übergänge in erfolgreiche Bildungswege ermöglichen, überarbeitet und angepasst werden. Kindern und Jugendlichen ist dabei ein angemessener Umgang in Bezug auf ihre individuelle Diskriminierungserfahrungen entgegenzubringen. Jedes Kind ist anders und muss mit seinen je eigenen Stärken gesehen und entsprechend gefördert werden, um den bestmöglichen Bildungsweg zu ermöglichen. Der Unterstützungsbedarf für ein Kind muss daher genau festgestellt werden. Nicht jede Auffälligkeit sollte pathologisiert werden; beispielsweise ist ein Sprachdefizit nicht gleich eine Behinderung. Daher ist damit auch gezielt und nicht-stigmatisierend umzugehen.
Strukturelle Segregation muss eingeebnet werden, um Benachteiligungen bei Startchancen kompensieren zu können. Da Kinder und Jugendliche auch aufgrund von mehreren Merkmalen diskriminiert werden können, muss die Mehrdimensionalität beachtet werden, statt jedes Merkmal spezifisch für sich zu beheben.
Um Diskriminierung an den verschiedenen Lernorten zu verhindern und Kinder möglichst diskriminierungsfrei zu erziehen, muss das pädagogische Personal von Kitas, Schulen etc. durch Aus- und Fortbildung sensibilisiert werden. Dazu gehört auch, dass das Lehr- und Lernmaterial auf Diskriminierungsfreiheit geprüft wird. Das Diskriminierungsverbot muss Teil der Kita- und Schulgesetze sein. Eine Einführung von Diversity- und Antidiskriminierungkonzepten in Bildungseinrichtungen ist wichtig und muss gefördert werden. Um das pädagogische Personal an Kitas und Schulen zu unterstützen, sollte es an jeder Einrichtung eine allgemeine Beschwerdestelle geben.
Das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz sollte auch auf das öffentliche Recht ausgeweitet und so Anspruchsnormen geschaffen werden.
Auch im privaten Bereich und der Wirtschaft muss die Diskriminierung bekämpft und Kinderfreundlichkeit gefördert werden.

II. Kinder mit Behinderung
§ 23 UN-Kinderrechtskonvention – Förderung behinderter Kinder

Die Rechte von Kindern mit Beeinträchtigungen und Behinderungen in der Behindertenrechtskonvention ergänzen und bestärken die Festschreibungen die Kinderrechte in der Kinderrechtskonvention. Aus dem gemeinsamen Grundgedanken der Inklusion und bestmöglichen Förderung und Teilhabe leitet sich eine Vielzahl von Handlungsbedarfen ab.
Die Selbständigkeit von Kindern und Jugendlichen mit Behinderung muss gefördert und deren aktive Teilnahme und volle und gleichberechtigte Teilhabe am Leben der Gemeinschaft sichergestellt werden. Dazu müssen regionale Unterschiede in Deutschland eingeebnet und ein flächendeckendes, niedrigschwelliges, Diskriminierungen und Exklusion vermeidendes und unabhängiges Beratungs- und Unterstützungssystem geschaffen werden. Dazu gehört auch ein Schutzsystem vor Gewalt und sexuellen Übergriffen.
Es kommt nicht selten vor, dass ein Kind mit einer Behinderung mehrfach benachteiligt wird. Die Verschränkung von Behinderung mit weiteren Faktoren, wie etwa einer prekären sozialen Lage oder einem Migrationshintergrund, darf keinesfalls dazu führen, dass die Förderung und Integration nochmals erschwert wird. Es ist wichtig, dass Angebote und Unterstützungen für ein behindertes Kind nicht von finanziellen und anderen familiären Ressourcen sowie von der Herkunft abhängig sind. Um auch in diesem Kontext das staatliche Familiensystem zu stärken, braucht es konkrete institutionalisierte Angebote für Familien, damit Beruf und Familie trotz Pflege vereinbar sind und die finanzielle Selbständigkeit nicht aufgegeben werden muss.
Die Schnittstellenproblematik im SGB VIII und SGB XII muss beseitigt werden. Die Kinderkommission befürwortet daher die Inklusive Lösung im SGB VIII. Auch innerhalb der Sozialgesetzgebung muss ein inklusiver Ansatz verfolgt werden. So sollte es möglich sein, dass auch eine Nachmittagsbetreuung für Kinder über 14 Jahren förder- und finanzierbar ist.
Besonderer Förderbedarf darf nicht zum Ausschluss und Teilhabehemmnis führen. Ein Ansatz dazu ist die Überarbeitung unseres Bildungssystems und die damit verbundene systematische Verankerung sonderpädagogischer Förderungen. Jedoch muss auch über den Bildungsverlauf hinweg Inklusion stattfinden. Das zu fördern heißt nicht, am Personal oder den Strukturen zu sparen, sondern in die Zusammenführung zu investieren, etwa das Personalbudget zu stärken. Über den schulischen Bereich hinaus sollten ausreichend Ressourcen zur Verfügung gestellt werden, um Teilhabe etwa durch Freizeitbegleitung zu ermöglichen. Außerdem muss es für betroffene Kinder und Jugendliche Kurzzeitpflegeplätze außerhalb von Altenpflegeeinrichtungen geben.
Behinderte Kinder und Jugendliche, die nach Deutschland geflohen sind, sollen die gleichen Ansprüche an die gesundheitliche und soziale Versorgung in Anspruch nehmen können, wie alle anderen Kinder auch.

III. Flüchtlingskinder und UMF
§ 22 UN-Kinderrechtskonvention – Flüchtlingskinder

Für alle Belange im Zusammenhang mit (unbegleiteten) minderjährigen Flüchtlingen und die zu treffenden Entscheidungen gilt, dass das Kindeswohl („the best-interests of the child“) in jedem Falle als Maßstab dient. Es ist klarzustellen, dass auch für Flüchtlingskinder alle UN-Kinderrechte gelten.
Im Asylverfahren sind kinderspezifische Fluchtgründe anzuerkennen (etwa Kindersoldaten, Kinderbräute, schwere Kinderarbeit etc.) und bei der Aufnahme systematisch zu identifizieren.
Der Zugang zu Bildungseinrichtungen muss schnellstmöglich und unabhängig von Dokumenten gemäß der UN-KRK bundesweit gewährleistet sein. Der Lebensunterhalt ist in der Ausbildungszeit durch Gewährung von Schüler- und Studien-BAföG sowie Berufsausbildungsbeihilfe sicherzustellen.
Junge Geflüchtete, die eine Ausbildung absolvieren, sollen für die Zeit der Ausbildung und für mindestens weitere zwei Jahre nach Ausbildungsabschluss ein Bleiberecht erhalten, das auch im Falle eines Ausbildungsplatzwechsels fortbestehen bleibt.
Um das Alter der Flüchtlinge einzuschätzen, muss bundesweit ein einheitlicher Standard zur Alterseinschätzung im Rahmen der Jugendhilfe geprüft und weiterentwickelt werden. Bei dem Verfahren darf die körperliche Integrität nicht verletzt werden. Im Zweifel ist für die Minderjährigkeit zu entscheiden. Zusätzlich braucht es eine bundesweite Erfassung von unbegleiteten minderjährigen Flüchtlingen.
Die unbegleiteten minderjährigen Flüchtlinge müssen sofort durch die zuständige Jugendhilfeeinrichtung bzw. das zuständige Jugendamt in Obhut genommen werden, um die schnellstmögliche Bestellung eines Vormundes zu gewährleisten. Eine gründliche und rechtssichere Bearbeitung nach einem bundesweit standardisierten und zügigen Clearingverfahren ist Voraussetzung. Die volle Inanspruchnahme von Leistungen nach dem SGB VIII ist zu gewährleisten. Bei der Zuweisung sind Beziehungen (familiäre oder persönliche, z. B. durch gemeinsame Flucht geknüpfte) zu beachten und nach Anknüpfpunkten in Deutschland zu suchen. Eine Zuweisung ist erst nach Prüfung von Fachkompetenz vor Ort durchzuführen.
Im Rahmen der gestiegenen Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe auch und gerade durch das erhöhte Aufkommen an minderjährigen Flüchtlingen ist eine finanzielle Stärkung der Kinder- und Jugendhilfe umzusetzen.
Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages fordert die Einführung eines individuellen Anspruchs auf sofortige Integrations- und Sprachkurse für Kinder und Jugendliche und eine schnellstmögliche Eingliederung in die Klassenverbände der Regelschulen.
Eine dem Standard der gesetzlichen Krankenversicherung entsprechende medizinische Versorgung ist unabdingbar.

IV. Inter* und Trans* Kinder, das Recht am eigenen Körper und auf eigene sexuelle Entwicklung

Wichtig ist, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz wirksam für Trans*- und Inter*Menschen anzuwenden und bestehende Lücken zu schließen. Das Personenstandsrecht bedarf einer Änderung, damit sich die betroffenen Kinder und Jugendlichen durch die alleinige Offenlassung des Geschlechtseintrags nicht zu einem Outing gezwungen fühlen. Eine Änderung des Geschlechtseintrags sollte durch individuelle Entscheidung der Betroffenen leichter möglich sein.
Die Variabilität der Geschlechtsentwicklung muss anerkannt werden. Die Körperlichkeit und individuelle Identitätsentwicklung ist von Anfang an zu akzeptieren. Wichtig ist, unsere Sprache sowie die gelebte Praxis im medizinischen wie auch gesellschaftlichen Umfeld zu entpathologisieren und nicht nur auf die weibliche und männliche Form zu beschränken. Im Zusammenhang damit steht die Akzeptanz der geschlechtlichen Selbstbeschreibung und der entsprechenden Anrede. Diskriminierung ist abzubauen und zu verhindern.
Durch Fortbildungen sollten Erzieherinnen und Erzieher, Pädagoginnen und Pädagogen und Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter stärker für das Thema der Inter* und Trans* Kinder und Jugendlichen sensibilisiert werden. In der Gesellschaft sind das Thema und die damit verbundenen Probleme häufig unbekannt; durch eine Aufklärungs-/Öffentlichkeits-Kampagne kann es sichtbarer gemacht werden. Außerdem sollten entsprechende Lehr- und Ausbildungspläne um den Themenkomplex erweitert werden. Wünschenswert wäre es, wenn auch religiöse und andere moralische Instanzen hier eine auf Akzeptanz zielende Orientierung geben.
Irreversible Entscheidungen, welche die Selbstbestimmung des Kindes sein Leben lang beschränken und beeinträchtigen können, entziehen sich der Entscheidungsbefugnis von Eltern und medizinischem Personal. Genitale und geschlechtsangleichende Operationen an nicht einwilligungsfähigen Kindern müssen, außer das Kind schwebt in Lebensgefahr, verboten und die Betroffenen vor Kastration geschützt werden. An das Verbot von Operationen sollte eine außerklinische Beratung und Begleitung von Kindern und Jugendlichen und ihrer Familie verbindlich gekoppelt sein. Es ist wichtig, die Operation nicht „nur“ als körperlichen Eingriff zu sehen, sondern die psychologischen und sozialen Prozesse sichtbar zu machen. Es ist immer zum Wohl und Selbstbestimmungsrecht des Kindes zu entscheiden. Die Krankenkassen und Krankenhäuser sind zur Dokumentierung und Fallzahlerhebung verpflichtet.

V. Recht auf eigene Familie
§ 3 UN-Kinderrechtskonvention – Wohl des Kindes

Familie ist da, wo Menschen dauerhaft Verantwortung füreinander übernehmen, insbesondere da, wo Kinder sind. Die Formen des Zusammenlebens sind vielfältig. Die Kinderkommission hat sich speziell der Situation von Pflegefamilien und von Vätern gewidmet.
Bei allen Maßnahmen steht das Kindeswohl an erster Stelle. Wird eine Gefährdung gesehen, sollte zunächst die Herkunftsfamilie alle Unterstützung erfahren, um die Gefährdung abzustellen. Kann die Gefährdung des Kindes nicht zuverlässig ausgeschlossen werden, muss der Staat in seiner Wächterfunktion verlässlich zum Wohle des Kindes eingreifen. Eine Möglichkeit ist es dann, das Kind bzw. die Kinder in einer Pflegefamilie aufwachsen zu lassen.
Die Unterstützung, Begleitung und Beratung sowohl der Herkunfts- als auch der Pflegefamilien muss anhand verbindlicher Qualitätsmerkmale standardisiert werden. Jedes Kind muss – soweit es das Kindeswohl erlaubt – die Möglichkeit auf Besuchskontakt zu den leiblichen Eltern haben. Es sollte sich daraus für das Kind jedoch keine Pflicht zum Umgang ableiten.
Kinder sind an jeder Stelle eines familienrechtlichen Verfahrens altersangemessen und fachlich kompetent anzuhören und zu beteiligen. Das Kind sollte das Umfeld so wenig wie möglich wechseln müssen (Bereitschaftspflege, Dauerpflege, Herkunftsfamilie). Nach einem vertretbaren Zeitraum muss eine klare Perspektive für das Kind sichtbar sein.
Kindern und Jugendlichen, um die sich kein Fürsorgebeauftragter kümmert, muss so schnell wie möglich ein qualifizierter und unabhängiger Vormund zur Seite gestellt werden.
Jugendliche sollten bei einer individuellen Gestaltung des Übergangs in die Volljährigkeit unterstützt werden. Der 18. Geburtstag darf nicht zum Abbruch von Sicherheit und Bindungen führen.
Um Pflegekinder zu unterstützen, Verfahren zu beschleunigen und Aufenthalte zu klären, brauchen Fachkräfte gute Rahmenbedingungen und überschaubare Fallzahlen.
Diversität von Familienformen ist anzuerkennen. Dazu gehört die Sensibilisierung von Erzieherinnen und Erziehern, Pädagoginnen und Pädagogen, Beratungsstellen, Jugendämtern und Jobcentern, damit Kinder und Jugendliche aus unterschiedlichen Familienformen angemessen behandelt werden. Vaterschaft muss sichtbar gemacht und die aktive Rolle in der Erziehung gefördert werden.

VI. Recht auf Schule, Bildung, Ausbildung
§ 28 UN-Kinderrechtskonvention – Recht auf Bildung; Schule; Berufsausbildung
§ 29 UN-Kinderrechtskonvention – Bildungsziele; Bildungseinrichtungen

Jedes Kind hat das Recht auf Bildung – auch die nach Deutschland geflüchteten Kinder und Jugendlichen. Es müssen genügend (Deutsch-) lehrerinnen und -lehrer qualifiziert und eingestellt werden. Die Einbeziehung und Anerkennung der unterschiedlichen Muttersprachen in den Lernalltag ist als erleichternde Integrationsmaßnahme zu prüfen.

Um eine individuelle Förderung von Kindern und Jugendlichen zu ermöglichen, müssen Unterstützungssysteme wie Schulsozialarbeit, Schulpsychologie oder auch Traumabewältigung ausgebaut werden.

Schule muss unentgeltlich sein. Lehr- und Lernmaterial, ÖPNV, der von Kindern und Jugendlichen für den täglichen Schulweg genutzt wird, und das Mittagessen sollten nichts kosten. Die Gebäude und die Einrichtung der Schule sollten den Ansprüchen der Kinder und Jugendlichen entsprechen. Wichtig ist, dass angemessene moderne Technik für alle Kinder und Jugendliche zugänglich ist. Statt bürokratische Förderinstrumente für Einzelne bereitzustellen, sollte man die Strukturen für alle zugänglich machen.

Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages fordert eine frühe Kooperation der Grundschulen mit der Berufsbildung, um duales Lernen zu fördern. Im weiteren Verlauf der Schulzeit sollte den Schülern neben den fachlichen Inhalten auch Lebenswelt- und Sozialkompetenzen mitgegeben werden.

Die Ausbildungsvergütung sollte in Bedarfsgemeinschaften nicht auf den Leistungsbezug der anderen Mitglieder angerechnet werden; die Vergütung sollte der/dem Auszubildenden zur Verfügung stehen. Eine Anrechnung auf die Bedarfsgemeinschaft kann zu negativen Motivationseffekten führen.

Die Attraktivität der Berufsbildung und des dualen Studiums muss gefördert werden. Dabei helfen Leistungsanerkennung bei Wechsel von Hochschule zur Berufsausbildung und umgekehrt genauso wie gute Ausbildungsqualität und ausbildungsbegleitende Betreuung und Beratung.

VII. Allgemeine Forderungen

Die Kinderkommission des Deutschen Bundestages setzt sich für eine Festschreibung von Kinderrechten in das Grundgesetz ein. Ein Bundesplan zur Umsetzung der Kinderrechte, der alle Kinder in ihren Rechten stützt und nicht nur einzelne Gruppen, ist darüber hinaus zu erarbeiten. Die Kinderkommission begrüßt und unterstützt die Verankerung von Ombudspersonen auf allen föderalen Ebenen. Um die UN-KRK bei Kindern und Jugendlichen sowie den Familien, Behörden und Institutionen bekannter zu machen, fordert die Kinderkommission eine bundesweite Öffentlichkeitskampagne.
Einer finanziellen und strukturellen Ausdünnung der Kinder- und Jugendhilfe muss entgegengewirkt werden. Die Kinderkommission fordert Bund, Länder und Kommunen daher auf, eine am tatsächlichen Bedarf orientierte Kinder- und Jugendhilfe sicherzustellen.
Als Kinderkommission fordern wir, Kinder und Jugendliche in Entscheidungen, die sie betreffen, altersgemäß einzubeziehen.